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Haus der kunst in kiew

27 April 2010

Mitten in Kiew steht seit September 2006 ein Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst. Das «Pinchuk Art Centre», neben dem Bessarabika- Markt an der Flaniermeile Kreschatik gelegen, zeigt anspruchsvolle zeitgenössische Kunst in einem architektonisch herausragend gestalteten Rahmen.

Kiew ist die Hauptstadt und mit rund drei Millionen Einwohnern auch die grösste Stadt der Ukraine. Ein Ort mit Geschichte und von unglaublicher Vitalität – und die Heimat Victor Pinchuks, der als Ingenieur auf dem Spezialgebiet Metallurgie vor allem mit Entwicklungen und Erfindungen im Bereich Gaspipelines erfolgreich und sehr vermögend wurde. Selber passionierter Sammler von Gegenwartskunst, betätigt sich Pinchuk als Kunstmäzen unter anderem durch das «Pinchuk Art Centre», aber auch als Förderer von Bildung und sozialen Projekten. Mit diesem Engagement will Pinchuk nach eigener Aussage Ost und West einander kulturell näherbringen sowie die kulturelle Identität der Ukraine fördern.

Grosses Interesse an Gegenwartskunst

Der Ausstellungsort liegt zwar mitten im Herzen von Kiew, aber er könnte leicht übersehen werden. Der bescheidene Eingang in das fünfgeschossige Haus mit historisierender Fassade, das auch das Einkaufscenter «Arena» umfasst, fällt in erster Linie deshalb auf, weil ab Mittag eine lange Warteschlange mit jungen Leuten, Familien, Rentnern oder Touristen ansteht und Einlass begehrt – der Eintritt ist frei. Seit drei Jahren ist die Institution in Betrieb, und sie war von Beginn an sehr erfolgreich. Die Liste der bislang ausgestellten Kunstschaffenden ist lang und umfasst im Westen bekannte wie noch unbekannte Namen: Sergey Bratkov, Antony Gormley, Andreas Gursky, Jeff Koons. Einzelausstellungen hatten Damien Hirst, Sam Taylor-Wood, Paul McCartney, Marika Mori und Elton John mit seiner Sammlung zeitgenössischer Fotografie. 2007 und 2009 war dem «Pinchuk Art Centre» offiziell die Vertretung der Ukraine an der Biennale Venedig übertragen, und seit Frühjahr 2008 wird dort regelmässig ein Projektraum für

junge KünstlerInnen eingerichtet. Das Institut untersteht seit Anfang 2009 der künstlerischen Leitung von Eckhard Schneider, dem ehemaligen Direktor des Kunsthauses Bregenz.

Ein Haus im Haus

Den zeitgemässen Einbau in eine historische Baustruktur von 1905 mit seiner bis ins letzte Detail kontrollierten architektonischen Gestaltung plante der Pariser Architekt Philippe Chiambaretta. Wer nach einem Sicherheitscheck mit dem Aufzug das Dachgeschoss erreicht, wähnt sich in einer andern Welt. Das ganz in Weiss gehaltene und mehrheitlich mit Möbelstücken der Gebrüder Fernando & Humberto Campana (Brasilien) und Konstantin Grcic (Deutschland) ausgestattete «Sky Art Café» (vgl. Abb. 3) ist ein Ort der Ruhe und überrascht mit einem Panoramablick über das Stadtzentrum. Dem Café angegliedert ist eine Videolounge für Videopräsentationen und Empfänge.

Der Haupteingang liegt zwar im 3. OG, doch ist hier oben der angenehmste Ausgangspunkt für einen Rundgang in den unvermutet grosszügigen Ausstellungsräumen im 3. und 4. OG. Die Säle sind ganz auf das Erleben und Betrachten der Kunstwerke ausgerichtet. Sie verunmöglichen jeglichen Blick in die Aussenwelt, sperren so den Alltag draussen völlig aus und sind in der Abfolge klar, aber nicht schematisch langweilig gegliedert. Die weissen Wände, das mit Kunstlicht beleuchtete Ambiente und der mit seiner Streifenstruktur an einen japanischen Steingarten erinnernde Boden bewirken eine fast klösterliche Atmosphäre.

Als ein besonderes Erlebnis erweisen sich auch die Toiletten: Man wähnt sich in einer neuen Farb- und Lichtinstallation von Daniel Buren (vgl. Abb. 2). Dort und auch im Treppenhaus sind künstlerische Interventionen fest installiert – in den Alkoven der Treppe zum Beispiel Tapeten mit bunten Blumenmustern und entsprechende Sitzmöbel des taiwanesischen Künstlers Michael Lin.

Technik und Materialwahl im Dienst der Kunstpräsentation

Philippe Chiambaretta hat die notwendigen technischen Installationen für Klimaanlagen, Lichtsteuerung, Zu- und Abluft usw. in eine massive, einen Meter dicke technische Wand eingebaut, die gleichzeitig die Raumfolge gliedert (vgl. Abb. 1). Über perforierte Bleche in der Wand und eine anschliessende, abgehängte Deckenpartie werden die Räume belüftet. Der Granitboden besteht aus hellen und dunklen schmalen Steinstreifen, die in einem strengen geometrischen Muster angeordnet sind und so den Besuchern diskret und doch wirksam den Weg weisen. Das Kunstlicht ist durchgehend in Wände und Decken eingebaut, sodass keinerlei optisch störende Installationen die Kunstwerke beeinträchtigen. Das Pinchuk Art Center erstreckt sich über drei Vollgeschosse (Administration und Ausstellungsräume) und das ausgebaute Dachgeschoss in rund einem Viertel der Fläche dieser riesigen Hofrandbebauung «Arena». Die beiden ersten Geschosse und die benachbarten Gebäude sind ebenfalls renoviert und werden anderweitig kommerziell genutzt.

Durch den Einbau in die bestehende Struktur und das Belassen der bestehenden Fassade bleibt der Charakter des Ensembles erhalten. Chiambaretta hat die Architektur dieses Ausstellungsorts ganz bewusst als eine Art kontemplative Innensicht gestaltet und erst im Dachgeschoss den optischen Bezug zur Stadt zugelassen.

Aufbau von individualität durch bildende kunst

Direktor Eckhard Schneider erklärt den Erfolg und die Popularität der Institution mit der Fähigkeit der bildenden Kunst, über Sprache hinweg Individualität aufzubauen und weltweit zu kommunizieren. Die Absicht, in Kiew Kunst auf hohem Niveau zu zeigen, wird konsequent verfolgt.

Darüber hinaus wurde 2009 ein Preis – vergleichbar dem Turner Prize in England –für den künstlerischen Nachwuchs in der Ukraine ausgeschrieben. Von 1100 Eingaben wurden 20 nominiert. Diese Arbeiten waren in einer von Kurator Olexander Soloviov gestalteten Ausstellung zu sehen. Gemäss Schneider hat nicht allein die hohe Zahl der BewerberInnen überrascht, sondern gleichfalls die hohe Qualität der Arbeiten.

Gewiss werden die mit der Ukraine verbundenen negativen Assoziationen – Tschernobyl, Auseinandersetzungen um Gastransporte oder soziales Ungleichgewicht – im Westen noch eine Zeitlang vorherrschen. Ebenso gewiss ist aber auch, dass in diesem Land junge Leute nach vorne blicken und einen eigenen und erfolgreichen Weg suchen. Die Kunstwelt ist nur ein Beispiel dafür.

«Ukraine» ist gleichbedeutend mit «Grenzland ». Es ist auch an uns, Grenzen und dadurch entstandene Vorurteile zu überwinden – zu entdecken ist ein faszinierendes, vielschichtiges Land mit offenen Menschen.

Author: Charles von Büren
Source: bluewin.ch