Gogo mit Gauguin
19 October 2006
Tor zum Westen: Ein ukrainischer Oligarch will Kiew mit einem Kunstmuseum europafähig machen
Es brennt! Gerade noch hatte Viktor Pinchuk mit großer Geste eine Styropor-Fassade eingerissen: Achtung, hier kommt die neue Kunst. Nach dem Museum of Modern Art, dem Guggenheim-Museum und dem Centre Pompidou eröffnet nun in Kiew das „Pinchuk Art Center", ver-kündet ein Trailer. Feuerwerk. Laser-show. Trommeln. Und viel Qualm. Die Flammen dort auf der Bühne - gehören sie zur Show? Erst als die Musiker beginnen, eilig ihre Instrumente in Sicherheit zu bringen, erst als Sicherheitskräfte mit Feuerlöschern vergeblich versuchen, die brennenden Styropor-Mauerstücke zu löschen, begreifen die meisten den Ernst der Situation. Schwarzer Qualm füllt den Raum, die Partygäste drängen zum Ausgang, die Mikrofonanlage fällt aus, und am Ende steht Pinchuk allein auf der Bühne und versucht, die Menge zum Bleiben, zum Tanzen zu bewegen. Vergeblich: Die Eröffnungsparty ist vorbei.
Ein bezeichnender Start. Vor Schutt und Trümmern stand Viktor Pinchuk mit seinem Projekt, der Ukraine das Tor zur internationalen Kunstwelt zu öffnen, schon einmal. Der zweitreichste Mann der Ukraine und Schwiegersohn von Ex-Präsident Leonid Kutschma hatte für sein Gegenwartsmuseum den passenden Ort gefunden,„den schönsten Ort in ganz Europa", wie er noch heute schwärmt. Ein altes Arsenalgebäude, direkt gegenüber dem Klosterkomplex Pecherska Lavra, Touristenattraktion Nummer eins in Kiew. 13 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, im Inneren Ruinencharme, vergleichbar dem seit Janren von der Biennale in Venedig genutzten Arsenale. Der Bau war dem Verteidigungsminister abgerungen und dem Kulrurrmnisterium übertragen, die Zusage an den damaligen Parlamentsabgeordneten Pinchuk stand.
Dann kam: die orangene Revolution. Die Neuwahl mit demSieg Juschtschenkos. Pinchuk, der nicht mehr fürs Parlament kandidierte und inzwischen für eine strikte Trennung von Politik und Wirtschaft plädiert, gehörte plötzlich zur alten Garde. Die neue Regierung entschied, das Arsenal für eigene Museumspläne zu nutzen. Noch ist nicht viel passiert, das rosafarbene Gebäude eingerüstet, kein Arbeiter in Sicht. Doch Viktor Pinchuk ist aus dem Spiel. Und sitzt nun hemdsärmlig in dem Ersatzquartier in der Innenstadt und grollt: Er hätte große Pläne mit dem Arsenal geiiabt, eiae Kiew-Biennalehätte hier entstehen können, es hätte der wichtigste Kunstort zwischen. Prag und Moskau sein sollen. Koch gibt er das Spiel nicht verloren: ,,Ich plane, nein, ich träume weiter."
An Selbstbewusstsein mangelt es dem Oligarchen, der sein Geld im Stahl- wie im Mediengeschäft macht und seit einigen Jahren die gemeinnützige „Victor Pin-chuk Foundation" betreibt, nicht. Das erste Museum für Gegenwartskunst der Ukraine soll gleich in der obersten Liga mitspielen. Die großen Namen der klassi-sche Kunst, von Leonardo bis Gauguin, hat man auf der Eröffnungsparty als über-schriften für Käfige gewählt, in denen tene Milchbar mit Blick über Kiew. A die Kunst, zur Hälfte ukrainische, zurHalte internationale Künstler, wartet im von Nicolas Bourriaud zusammengestellten internationalen Teil mit Top Names auf, von Olafur Eliasson bis Philippe Parreno, von Thomas Ruff bis Sarah Morris Man habe nach einer Erstpräsentation auf der Venedig-Biennale 2005 die Erwerbungen möglichst schnell offentlich machen wollen, erklärt Pinchuk. In zehn Monaten stand das Museum.
Das Ziel ist eher politish als kunstsinnig. Es gehe darum, auch in der Kunst diegleiche Sprache zu sprechen wie die westeuropäische Welt, erklärt Pinchuk seine Motivation. Der Traum einer Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union war Vater des Projekts: „Jede moderne europäischen Großstadt hat ein Museum für Gegenwartskunst", so der Gründer. Pinchuk sammelt privat zwar russischeund ukrainische Kunst des 19. Jahrhunderts, doch den politischen Wert von Gegenwartskunst hat er erkannt. Das Sam-meln läuft dann so: „Auf der Biennale in Venedig habe ich Bilder von Thomas Ruff gesehen, die haben mir gefallen.Nun hängen vier Ruff-Fotografien im Museum. Auch ein Hang zum Technischer, den Arbeiten von Xavier Veilhan. Carsten Höller oder Carsten Nicolai bedfeoen. ist der Biografie des Mäzens geschuldet der vor allem Stahlrohre fabriziert.
Die Ukrainer, darunter arrivierte wie Boris Michailow, Oleg Kulik und Sergej Bratkow, aber auch Neuentdeckungen wie das „Institut der instabilen Gedanken", das unter Schwarzlicht anzüglich Reißverschlüsse auf- und zuratschen lässt, halten sich im Vergleich nicht schlecht: Das Außenseiter-Gefühl teilen sie mit Künstlern aus Indien, Thailand oder Vietnam, die Vorliebe für großform-atige Malerei mit der Leipziger Schule. Als Nächstes will das „Pinchuk Art Cen-ter" unbekanntere Künstler präsentieren. Die tummeln sich derweil in Hinterhö-ren in Kiews Unterstadt Podil. Die Galerie Zech, vor zwei Jahren in einer Garage eröffnet, präsentiert die Gruppe „Revolutionary Experimental Space" mit einer Videoinstallation. Menschen in Tschernobyl-Schutzanzügen treten vor die Kamera und verkünden: „Das offizielle Kulrarleben der Ukraine ignoriert das Phänomen zeitgenössischer Kunst." - „In den Lehrplänen höherer Schulen kommt zeit-genössische Kunst nicht vor." - „Den; meisten Menschen in Kiew bleibt zeitge-nössische Kunst verschlossen, unver-ständlich und marginal." - „Zeitgenössische Kunst in der Ukraine ist ein künstliches Phänomen." In Viktor Pinchuks Museum hat man solche Töne nicht gehört.
Author: Christina TILMAN
Source: "TAGESSPIEGEL"